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Arztbesuch ohne Termin - Vom Zeit-Totschlagen im Wartezimmer

Mo 05 August 2013 by Andreas Hüwel

Als ich den Wartebereich betrete, wird das Ausmaß des Kommenden klar: Es sind noch mindestens 11 Leute vor mir dran, um die Ecke mag ich gar nicht erst schauen. Hinter mir kommen schon weitere nach. Der eine sieht echt übel aus, wird sicher vorgelassen.

Bald hab ich alle genug “unbemerkt verstohlen” angeschaut. Unter inzwischen gemischten Blicken meiner Mitleidenden senke ich irgendwann auch das Handy - die Adressliste ist eh durch. Meine Finger auch, vom vielen SMS schreiben.

Tja.

Was tun mit der Zeit?

Wie lange das wohl noch dauert?

Erste statistische Abwägung

Wenn jeder 15 Min. braucht, komm ich in ca. … OMG, da ist wieder einer dazugekommen.

Zweiter Modellansatz

Angenommen, alle die da waren, als ich reinkam, kommen vor mir dran: Dann ist mit 10-20 Min. pro Patient schonmal klar: Ich könnte ja vielleicht gegen Mittag nochmal reinschauen…

Wenn dann 1/3 bis 1/2 der neuen einen Termin vor mir haben, denn … bei drei neuen Patienten pro Viertelstunde…

Zwischengedanke: Wie sähe wohl das mathematische Modell aus? Und dann den Parametersatz finden, bei dem ich genau gerade knapp nie dran komme - das teuflische Gleichgewicht zwischen vor mir dazukommenden und vor mir drankommenden Patienten?

Ein unheimliches Gefühl der Verzweiflung will mein Herz beschleichen. Unauffällig schaun, was die anderen so treiben. Tja.

Mitten im Brüten stelle ich fest, dass einige Patienten zum Arzt gehen und dann nochmal im Wartezimmer hocken. Ein schrecklicher Gedanke kriecht in mein Hirn: Werden Statisten eingeschleust? Oder Hobbyisten, die nur mal die Atmosphäre im Wartezimmer genießen wollen? Oder da die ältere Dame: “Klar komm ich heut zum schnacken vorbei - Wetter draußen ist eh nicht toll!” Irgendwo zwischen den Hirnlappen kitzelt die pathologische Variante: “Nein! Die wollen nur mein Modell sabotieren! Muhaha!”

Modellverfeinerung

Gerade wird Herr Heinemann aufgerufen, ist aber nicht da. Oder traut sich nicht mehr? Oder auf dem Klo eingeschlafen? Es gibt also auch Personen die vor dem Drankommen wegfallen - oder weggingen? Hätte ich nur die Stoppuhr-App genommen und Strichliste geführt! Ade du Testmenge für die Validierungsphase!

Realitätscheck

Irgendwie merke ich, dass meine Umgebung nervös wird und aus dem Kurzzeitgedächnis sickert etwas durch, was meine Gedankengänge schließlich unterbricht. Hat da gerade jemand meinen Namen gerufen? Ich schaue verwirrt auf und sehe die vielen Vor-Mir-Drankommer - wie kann das sein? Das Modell ist so stimmig und ich bin doch noch lange nicht dran? Als mein Name erneut aufgerufen wird stehe ich etwas unbeholfen auf und setze mich immer noch fassunglsos in Richtung Arztzimmer in Bewegung.


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